Hijras entsprechen weder dem "typisch weiblichen" noch dem "typisch männlichen" Klischee. Sie sind ein drittes Geschlecht, dass seinen ganz eigenen Stil am Rande der Gesellschaft lebt. Traditionell sind sie in den südasiatischen Gesellschaften innerhalb der ihnen zugedachten Nischen akzeptiert. Trotzdem sind sie häufig Opfer von Diskriminierungen und Gewalt. AuÃerhalb der Region werden sie vorrangig mit dem Hinduismus in Verbindung gebracht, der islamische Faktor wird dagegen selten erwähnt. Ihr "Anderssein" birgt dabei Problematiken mit sich, die einigen feministischen und queeren Diskursen entgegenstehen. Vermehrt betreten sie den öffentlichen Raum und fordern Rechte für sich ein.
"Sie tauchen oft plötzlich auf, im Nu wird es laut und schrill – und wenn sie gegangen sind, fühlt man sich so, als hätte es einen aus einem kurzen aber heftigen Albtraum gerissen. Ich mag sie nicht, aber man muss nett zu ihnen sein, denn sie verfügen über magische Kräfte und können dich leicht verhexen", mein westbengalischer Sitznachbar im Zug schwieg für ein paar bedeutungsvolle Sekunden und schaute der grellen Truppe nach, die singend und scherzend durch den Gang unseres Wagons zog. Es war nicht meine erste Begegnung mit diesen eigentümlichen Gestalten gewesen, gleichwohl weckten seine Worte mein vermehrtes Interesse an ihnen.
Veraltete, westliche Begriffe wie Eunuch, Kastrat oder Zwitter sind auf die Hijras eher nicht zutreffend. Der Begriff vom sogenannten "dritten Geschlecht" (third gender) scheint mir für sie passender zu sein. Wenn ich von Hijras rede und schreibe, benutze ich trotzdem den femininen Genus, da ich das Neutrum in diesem Fall als respektlos halten würde und sie selbst sich zwar als Wesen, das weder Mann noch Frau ist, bezeichnen, gleichwohl aber weibliche Vor- und Kosenamen wählen.
Hijras - Begriff und Organisation des dritten Geschlechts
Es gibt keine genauen Zahlen über die Anzahl von Hijras in Südasien, Schätzungen belaufen sich auf 700.000 bis zu mehreren Millionen vorrangig in Indien, Bangladesh, Pakistan und Nepal. Neben dem Begriff der Hijra, der hauptsächlich im Urdu und Hindi verwendet wird, existieren auch andere Bezeichnungen wie Mukhannath oder Muhannas (arabische Bezeichnung für kastrierte Männer in Frauengestalt, bzw. weiblichen Seelen in Männerkörpern), Khusra (Panjabi), Alis (Tamil) und Hizra (Bengali). Hijras sind im hinduistischen und auch im muslimischen Umfeld anzutreffen. In den buddhistisch geprägten Gegenden Südasiens kommen sie - im Gegensatz zu den Kathoey, die sich im südostasiatischen Thailand oft selbst auch als Ladyboy bezeichnen - selten vor. Die heutigen Kathoey weisen dabei durchaus einige Ãbereinstimmungen mit Hijras auf, da sie einerseits häufig Transsexuelle sind, d.h. biologisch als Männer geboren wurden, und sich gefühlsmäÃig nicht als "männlich" empfinden, jedoch streben sie mehrheitlich eine geschlechtsanpassende Operation an, um äuÃerlich vollständig zu einer Frau zu werden (sogenannte Mann-zu-Frau-Transsexuelle oder auch Transfrauen).
Trotz ihrer weiblichen Kleidung haben Hijras unter anderem durch eine starke Behaarung oft ein eher männliches Erscheinungsbild. Ãltere Hijras haben oft Glatzen und tragen selten Perücken. Nicht nur bei Auseinandersetzungen treten sie durchaus mit lauter, männlich-tiefer Stimme auf. Sie benehmen sich aus Sicht der Mehrheit der von einem traditionellen Frauenverständnis geprägten Südasiaten häufig nicht sehr "ladylike". So verkörpern sie wiederum teilweise auch Männerfantasien, für die "anständige" Frauen nicht zur Verfügung stehen. Ihre frechen Sprüche, offenes Spielen mit sexuellen Reizen und Flirten scheinen im starken Gegensatz zu den oberflächlich eher prüden Gesellschaften in Südasien zu stehen. Dies verstärkt den Eindruck, dass es sich bei ihnen eher um eine eigene Mischform handelt, die in ihrer Art und mit einer eigenen "Teils-Teils-und-Weder-Noch-Ausprägung", eine individuelle gesellschaftliche Nische besetzt. Dies steht im Gegensatz zu der dichotomen Frau-Mann-Aufteilung andernorts. So herrscht beispielsweise in Europa gröÃtenteils die Auffassung vor, dass transsexuelle Menschen entweder ganz Mann oder Frau zu sein haben. Mischformen werden kaum akzeptiert, von dem z.B. durch David Beckham vorgelebten Modetrend der "Metrosexualität" abgesehen, der weniger einer sexuellen Ausrichtung als einem extravaganten Lebensstil entspricht.